Unsere jüdischen Wurzeln

Wie war unsere Gegend im Ruperti-Winkel und im Südosten von Bayern von der Schoah betroffen?

Im Herbst 2020 und im Sommer 2021 waren wir, Martina Rau und Dorothea Marien, unterwegs, auf den Spuren der Todesmärsche unserer Gegend.
Wir waren auf den Friedhöfen und den Orten der Ermordung und haben uns an die Schuld erinnert, haben Psalmen gelesen und Musik gespielt zur Ehre und Würdigung der Toten. Wir haben uns nieder gekniet und Buße getan für die ungeheuerlichen Verbrechen.

Es hat uns sehr berührt und wir möchten gerne darüber berichten:

Im letzten Jahr des 2. Weltkrieges war die Zahl der KZs im Deutschen Reich zu einem flächendeckenden Netz von 24 KZ-Hauptlagern und mehr als 1000 KZ-Außenlagern angewachsen.

In den letzten Wochen vor Kriegsende wurden die Inhaftierten, die in den KZs gefangen waren, es waren noch über 700 000 Menschen, Männer, Frauen und Kinder, weggetrieben, um die ungeheuerlichen Verbrechen vor den heranrückenden Alliierten zu vertuschen. Die Gefangenen aus dem Südraum (Flossenbürg, Dachau, Buchenwald …) wurden nach Süden in Richtung Alpen getrieben. Tausende Menschen wurden in vielen verschiedenen großen und kleinen Gruppen in vielen Todesmärschen durch Bayern und auch durch unsere Gegend gehetzt.
Die Menschen, die vor Erschöpfung nicht mehr weiterkonnten, wurden am Straßenrand erschossen.

Dies geschah vor den Augen der Lokalbevölkerung
Ansprechpartner für die SS-Bewacher vor Ort waren Ortsgruppenleiter und Bürgermeister.
Die Lokalbevölkerung sorgte dafür, dass niemand fliehen konnte. Um die Spuren der Verbrechen zu vertuschen, wurden die zahlreichen zurückgelassenen Leichen der Opfer meist von Einheimischen direkt an Ort und Stelle verscharrt.

An der Straße von Traunreut nach Palling wurden 2 jüdische Menschen erschossen und verscharrt.

An der B 304 von Traunstein nach Salzburg, bei Surberg, wurden 66 Juden erschossen und in ein Massengrab geworfen.

Als die Alliierten die Gegend einnahmen, zwangen die Amerikaner die Lokalbevölkerung, mit Befehl der Militärregierung vom Juni 1945, die notdürftig verscharrten Leichen der ermordeten KZ-Häftlinge auszugraben und in den umliegenden Orten beizusetzen. Die Toten bestattete man nun würdig unter Aufsicht der Militärregierung in eigenen KZ-Friedhöfen.
Leichengeruch lag über der gesamten Gegend, berichten Zeugen, z.B. der Prälat Joseph Ernst Mayer.

Allein rund um Vilsbiburg waren mehr als 80 Opfer der Todesmärsche verscharrt worden. Angrenzend an den Pfarr-Friedhof von Vilsbiburg entstand nun ein KZ-Friedhof, der 28.7.1945 eingeweiht wurde. Hier wurden diese exhumierten Leichen beigesetzt. Für die gesamte Bevölkerung bestand Teilnahmepflicht. 1946 wurde dazu eine Gedenktafel angebracht.

Dann aber, 1956, wollte man sich dieses schändlichen Friedhofes scheinbar entledigen. Die Leichen wurden wieder ausgegraben und nach Flossenbürg in die jetzige Gedenkstätte gebracht und dort erneut beigesetzt.
Das Erinnern daran wurde verdrängt:

Erst 1998 wurde an der Außenmauer des Friedhofes ein Gedenk-Grabstein aufgestellt.

Die Inschrift der Tafel entspricht nicht den Tatsachen. Die Stadt Vilsbiburg müsste die Tafel korrigieren, da die Toten nicht mehr hier ruhen.

Nördlich von uns, in der Nähe von Mühldorf war ein KZ-Außenlager von Dachau, dass 9 Monate vor Kriegsende zur Produktion von Rüstung und Flugzeugteilen provisorisch und primitivst (die Häftlinge mussten in Erdhöhlen hausen) erstellt wurde. Hier wurden 8000 Häftlinge, vorwiegend Juden, grausam zur Zwangsarbeit unter unmenschlichsten Bedingungen gezwungen.
In diesen 9 Monaten überlebten 2249 Menschen diese unmenschlichen Zustände nicht, wurden getötet und in Massengräber im Wald (u.a. bei Waldkraiburg) geworfen.

Als die Amerikaner am 2. Mai 45 unsere Gegend vom Naziterror befreiten, musste die lokale Bevölkerung diese Massengräber öffnen, die Leichen exhumieren, und in umliegenden Friedhöfen beisetzen; in Mühldorf (480 Tote?) Kraiburg (242 Tote), Neumarkt St. Veith (392 Tote) Burghausen (253 Tote), die restlichen Toten wurden in Dachau beigesetzt.
In Burghausen und an anderen Orten wurde die Bevölkerung gezwungen an den offenen Särgen vorbeizugehen und die Getöteten anzuschauen.
Es entstand der Friedhof vor den Toren von Neumarkt St. Veith .

Wenige Tote sind bekannt:
3 Brüder Yitzchak Leib s.A., Binyamin Moshe s.A. und Avraham Yehuda s.A., die Söhne von Devid Hoffmann aus Papa in Ungarn.
Ihre Schwester hat überlebt und so lange recherchiert, bis sie den Leidens- und Sterbeort ihrer Brüder gefunden hatte. Es ist Edith Tessler.
Sie hat einen Grabstein für ihre Brüder aufstellen lassen:

Diese unvergessliche und monströse Schuld, die auf lastet, darf nicht vergessen werden.
Wir bitten das Volk Israel und Gott um Verzeihung und Vergebung.

Pfarrerin Dorothea Marien
Martina Rau

Wir erinnern uns an den 9. November 1938

Zerstörte SynagogeBild: Wikimedia Commons, Lizenz: CC BY-SA 3.0 de

Der 9. November 1938 war der Tag, an dem die Synagogen in Deutschland angezündet wurden, jüdische Geschäfte und Häuser zerstört und geplündert wurden, und unzählige Menschen bedroht, verhaftet, in KZs verschleppt, gefoltert und getötet wurden.

Es war der Beginn des Völkermordes an den Juden – die Schoa. Sie waren unsere Glaubensbrüder und -schwestern, das Volk Israel.

Pfarrerin Dorothea Marien

Judentum und Christentum – zwei getrennte Religionen?

ChanukkaJudentum hat das Alte Testament und Christentum das Neue Testament?

Aber wir haben eine Bibel. Durch Jesus sind beide Teile miteinander verbunden. Gott hat sich nicht geändert. Das Neue Testament ist nur im Licht des Alten Testamentes richtig zu verstehen und nicht losgelöst davon. Das Alte Testament wird im Neuen Testament offenbart.

Das Judentum ist die Wurzel des edlen Ölbaumes, in welchen das Christentum eingepfropft worden ist (Römer 11, 17-18). Wenn wir uns nun von der Wurzel abschneiden, so sind wir wie Schnittblumen in der Vase, die bald verwelken. Bäume werden viele Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte alt. Aber als Weihnachtsbaum ohne Wurzeln nur wenige Tage.

Wenn wir uns mehr mit dem ersten Teil der Bibel (also dem Altes Testament) beschäftigen, werden wir den zweiten Teil (das Neue Testament und unsere Beziehung zu Gott, zu Jesus Christus, besser verstehen und leben.

Martina Rau

Wenn Sie gerne Ihre Sichtweise beitragen möchten, sind Sie herzlich dazu eingeladen.
Pfarrerin Dorothea Marien

Die jüdischen Feste im Jahreskreis – eine Wurzel der christlichen Feste

Informationen zur Plakatserie im Schaukasten

Unsere jüdischen Wurzeln: Pessach
Plakat Pessach

Eine jüdische Stimme

Pessach feiert den Auszug Israels aus der Sklaverei Ägyptens. In Erinnerung an diesen Befreiungsakt Gottes wird eine Woche lang ein Fest begangen, das bei religiösen wie bei säkularen Juden so tief verankert ist wie wohl kein anderer jüdischer Feiertag. Während der Pessachwoche werden alle Getreideprodukte aus dem Haushalt verbannt und an deren Stelle das „Ungesäuerte Brot“, die Matzah, und aus Matzemehl hergestellte Teigwaren gegessen.

Ein zentrales Gebot des Festes lautet, den Kindern von Auszug und Befreiung zu erzählen, um auch ihnen diese Identifikation mit der Geschichte Israels zu ermöglichen. So beginnt das einwöchige Pessachfest mit dem Sederabend: Familie und Freunde oder auch die Gemeindemitglieder versammeln sich zu einem Festmahl, das einer bestimmten Ordnung („Seder“) folgt. Im Zentrum steht das gemeinsame Lesen der Haggadah, der mit Kommentaren, Psalmen und Liedern angereicherten Erzählung vom Auszug aus Ägypten. Dazu werden symbolische Speisen verzehrt, die die Bitternis der Sklaverei verdeutlichen sollen. Dieses Ritual richtet sich an Kinder und Erwachsene gleichermaßen, denn jede/r ist aufgefordert, sich als Teil dieser Geschichte zu erleben und sie sich zueigen zu machen.

Rabbinerin Dr.in Ulrike Offenberg

Eine christliche Stimme (Martina Rau):

Pessach

Die Feste Israels sind laut der Heiligen Schrift, Zeiten der Begegnungen mit Gott. Gott will sich mit seinem Volk treffen und vereinbart dazu einen Termin.
Als nächstes in unserem Kalender feiern die Juden Pessach. In diesem Jahr vom 28. März – 4. April.
Dieses Fest erinnert an den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten. Gott war dieser Auszug so wichtig, dass er im Kalender die Monate neu geordnet hat. Die Pessach-Woche sollte in der Mitte des 1. Monats Nissan also bei Vollmond stattfinden. Eigentlich besteht dieses Fest aus 3 ineinander übergehenden Festen.

Am Vorabend der Festwoche ist Seder (3. Mose 23, 4-5). Dieser Abend wird nach einer liturgischen Ordnung – der Haggada – gefeiert. Das Pessach-Lamm wurde damals geschlachtet und sein Blut errettete die Erstgeborenen vor dem Tod.
Pessach ist die ‚Überschreitung‘ [das ‚Vorbeigehen‘. Der Engel des HERRN ging an den Türen, die mit dem Blut des Lammes gezeichnet waren, vorbei. Die Erstgeborenen hinter diesen Türen wurden bewahrt.]. Dieses achttägige Fest im Frühjahr zur Erinnerung an den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten wird auch als ‚Fest der ungesäuerten Brote‘ bezeichnet. Eine Woche wird aller Sauerteig aus dem Haus entfernt. Bei 3. Mose 23, 6-8 nachzulesen. Sauerteig symbolisiert hier die Sünde.
Das dritte Fest ist das Fest der Erstlinge (3. Mose 23, 9-14) und wird am Tag nach dem Shabbat in dieser Festwoche gefeiert. Die ersten Früchte wurden eingebracht.

Alle 3 Feste haben mit dem ersten Kommen von Jesus zu tun und sind durch ihn erfüllt worden. Jesus ist unser Pessach-Lamm. Jesus wurde für uns zur Sünde und starb für unsere Sünden am Kreuz (2. Korinther 5,21). Jesus war der erste, der von den Toten auferstand und lebt.
Martina Rau

Eine christliche Stimme
Wir Christen haben uns von der biblischen Wahrheit entfernt.
Wir können uns aber unserer Wurzeln besinnen.

– Pfarrerin Dorothea Marien

Gleichzeitig mit Fasching wird das jüdische Purimfest gefeiert. Beim Purimfest verkleiden sich die Kinder und die Geschichte aus dem Buch Esther aus der Bibel wird erzählt und gespielt.

Plakatserie: Purim

Die christlichen Feste im Kirchenjahr haben meistens eine jüdische Tradition, die Jesus auch gefeiert hat (wie Pessach und Gründonnerstag) oder wo etwas wichtiges von Jesus geschehen ist und gleichzeitig ein jüdisches Fest statt fand – wie Pfingsten, die Ausgießung des Heiligen Geistes, die sich am jüdischen Wochenfest Schawuot ereignete.

Die Evangelische Kirche in Bayern und die Katholischen Bischofskonferenz haben sich eine Plakataktion ausgedacht, um auf die gemeinsamen Beziehungen zwischen Judentum und Christentum hinzuweisen. Denn im Jahr 2021 jährt es sich, dass es jüdischen Gemeinden im Gebiet Deutschlands gibt – und zwar seit 1700 Jahren.

Schon im Jahr 321 wurden erstmals Juden auf dem Gebet des heutige Deutschlands urkundlich bezeugt, also sogar noch vor den ersten schriftlichen Belegen für christliches Leben hier. Aus diesem Anlass fragen wir uns: Was verbindet Christen und Juden? Es ist so viel, was uns meistens gar nicht bewusst ist. Das Volk Israel, die Juden, sind Gottes erwähltes Volk, aus dem die Christen hervorgegangen sind. Das Volk Israel ist die Wurzel, wir Christen sind die aufgepfropften Zweige. Jesus war Jude und ist zuallererst zum Volk Israel gekommen. Unsere Feste sind gemeinsam, die Heilige Schrift ist dieselbe, Gott ist unser Vater im Himmel.

Purimfest im Februar – und Fasching im Februar: die Kinder verkleiden sich

Das Buch Esther berichtet von der jungen Frau Esther, eine Frau aus dem Volk Israel, die wegen ihrer Schönheit und ausgesprochen großer Klugheit vom König Achaschwerosch von Persien zur Frau gewählt wurde und dadurch ihr Volk Israel beschützten konnte. Denn Hamann, ein Minister des Königs, der das Volk Israel grundlos hasste, wollte das Volk Israel vertreiben. Als Tag der Vertreibung loste er einen Tag im Februar aus (Los = Purim). Als Esther ihrem Mann, dem König davon erzählte, beschützte der König das Volk Israel vor Hamann und am Tag, an dem das Volk Israel verjagt werden sollte, wurde es vom König errettet. Der ausgeloste Vernichtungstag wurde zum Tag der Rettung. Ein großes Fest wurde gefeiert: das Purimfest – das “Los”-Fest.

Die ganze Erzählung von Esther und dem Los (Purim) gibt es hier:

Talmud.de – Das Buch Esther

Pfarrerin Dorothea Marien