Herzenssache: Das Evangelium von der Liebe Gottes erleben und weitergeben
Überblick: Worum geht’s?
Die evangelische Paulusgemeinde Traunreut hat sich in den letzten Jahren auf den Weg gemacht, Kirche näher zu den Menschen und Menschen näher zu Gott zu bringen.
In einem offenen Leitbildprozess, zu dem die ganze Gemeinde eingeladen war, haben wir mit externer Beratung unseren Kurs bestimmt, der uns diesem Ziel näher bringen soll. Das gemeinsam erarbeitete Gemeindeleitbild wurde von Kirchenvorstand und Gemeindeversammlung beschlossen und Ostern 2016 eingeführt.
Seitdem ist viel Neues entstanden und trägt Früchte. Die Angebote der Gemeinde sind vielfältiger und moderner geworden. Sie werden von insgesamt deutlich mehr Menschen als vorher angenommen. Besonders spürbar sind die Veränderungen in den Bereichen Kinder, Jugendliche und Familien. Weniger auffällig aber deutlich benennbar haben sich auch die Angebote für Senioren verbessert. Alle Bereiche haben gewonnen, doch fest steht: wir sind weiterhin Lernende und noch lange nicht am Ziel.
Von der Kirchenrenovierung bis zur Lifeliner-Aktion: Die Paulusgemeinde ist sichtbar
Dieser Artikel verbindet den Leitbildprozess der Paulusgemeinde mit der Milieu-Perspektive. Sie weitet den Blick und zeigt, warum Vielfalt ein wichtiges Kriterium für eine positive Gemeindeentwicklung ist. Wachsende Vielfalt bedeutet nicht, dass bisherige Angebote oder Zielgruppen abgewertet werden – sie werden durch neue ergänzt, aber nicht abgelöst.
Ausgangspunkt: Der geistliche Auftrag der Kirchengemeinde
Die Paulusgemeinde versteht sich als eine profilierte, an ihrem geistlichen Auftrag orientierte Kirchengemeinde. Dieser gemeindliche Auftrag ist von der Landeskirche wie folgt definiert:
(Aus der Kirchengemeindeordnung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern)
Leitbildprozess und bewusste Öffnung der Gemeinde
In den letzten 20 Jahren haben sich Kultur und Gesellschaft stark verändert, während die landläufigen Formen des Gemeindelebens weitgehend gleich geblieben sind. Die Wahrnehmung dieser wachsenden Kluft und die bevorstehende Überalterung der aktiven Kerngemeinde führten uns zu den Vorüberlegungen für den Leitbildprozess.
Es musste ein Weg gefunden werden, wie die Paulusgemeinde ihre christliche und konfessionelle Identität bewahren und gleichzeitig in einem sich wandelnden Umfeld ihrem Auftrag gerecht werden kann, zugewandt und einladend Kirche für die Menschen von heute zu sein. Im Blick darauf, dass wir zu ganz unterschiedlichen Menschen in ihrer je eigenen Lebenswelt gesandt sind, haben wir im Leitbild formuliert:
Durch vielfältige, kreative, traditionelle und moderne Formen bringen wir unsere Freude über die Liebe Gottes zum Ausdruck. Wir motivieren Menschen aller Generationen, Gottesdienste zu feiern und Gott in Gebeten und Liedern anzurufen.“
(Aus dem Leitbild der Paulusgemeinde)
Milieus – ein Schlüssel, um Menschen zu verstehen
In der gegenwärtigen differenzierten Gesellschaft ist es nicht mehr selbstverständlich, dass Sprache, Kultur, ästhetisches Empfinden, Wertorientierung und Alltagsgestaltung bei allen Menschen vergleichbar sind. Es bilden sich gesellschaftliche Gruppen, die eigene gemeinsame kulturelle Muster entwickeln, sogenannte Milieus. Diese Übereinstimmungen helfen, sich einander zugehörig zu fühlen und sich von anderen abzugrenzen.
Den Sinus-Milieustudien zufolge gibt es in Deutschland derzeit zehn Milieus, die durch eine Vielzahl von Kriterien konkret bestimmbar sind und ihren je eigenen Lebensstil pflegen:
Sozial gehobene Milieus:
Konservativ-Etablierte, Liberal-Intellektuelle, Performer, Expeditive
Milieus der Mitte:
Adaptiv-Pragmatische, Bürgerliche Mitte, Sozialökologisches Milieu
Milieus der unteren Mitte/ Unterschicht:
Traditionelle, Prekäre, Hedonisten
Wenn wir als Gemeinde mit den Menschen in unserer Umgebung kommunizieren wollen, müssen wir zunächst uns selbst und dann unsere Zielgruppe verstehen – also Denkweisen, Sprache und kulturelle Grundmuster.
Milieuverengung und Milieuorientierung
In der Regel kommuniziert man mit dem Milieu, dem man selbst angehört, am besten. Jeder von uns lebt in einer sozialen Nische – auf die sich oft auch der Freundeskreis und der soziale Bezugsrahmen beschränkt. Wir fühlen uns eben von den Menschen angezogen, die so sind, denken und leben wie wir und grenzen uns von den anderen eher intuitiv ab.
Schon Anfang der fünfziger Jahre hat Klaus von Bismarck in soziologischen Studien das Stichwort von der „Milieuverengung“ der Kirche geprägt. Bereits damals gelang es ihm zu zeigen, dass gemeindliches Leben durch Kleinbürgertum und Mittelschicht geprägt sind. Eine große Zahl von Menschen gerät damit aus dem Blick, obwohl ihnen das Evangelium genauso gilt wie den anderen. Wie viele Tätowierte sitzen bei uns im Gottesdienst? Wie viele Singles und alleinerziehende Mütter? Wie viele junge Männer mit Hipster-Bart?
Da wir das Evangelium von der Liebe Gottes an möglichst viele Menschen weitergeben wollen, müssen wir uns als Gemeinde hinterfragen: Welche Typen von Menschen sprechen wir bisher an – und welche nicht? Wie können wir uns mehr auf den Weg zu den Menschen machen, zu denen wir bisher kaum Kontakt haben?
Gleichzeitig müssen wir die Grenzen des Leistbaren realistisch anerkennen: Wie viele verschiedene Gottesformen können wir schultern? Wie können wir mit Menschen aus anderen Milieus authentisch kommunizieren, ohne uns zu verbiegen und unglaubwürdig zu werden?
In seiner kulturellen Anpassungsfähigkeit lag seit jeher eine große Stärke des Christentums. Paulus, einer der ersten christlichen Missionare schrieb an die Gemeinde in der damaligen Weltmetropole Korinth:
(1. Korinther 9, 19-24)
Im Stil verschieden – und doch eine Einheit in Jesus Christus
Schon zur Zeit des Apostels Paulus haben sich Christen gefragt, wie sie trotz ihrer Unterschiede eine Einheit bilden können. Paulus beantwortet diese Frage mit dem Beispiel eines menschlichen Körpers, der aus verschiedenen Gliedern besteht:
(1. Korinther 12, 12-14.19-20 / GNB)
Geistliche Gemeinschaft und Verbundenheit liegt nicht in der Gleichheit äußerer Formen gelebten Glaubens begründet – sie besteht für uns Christen in unserer gemeinsamen Beziehung zu Jesus Christus, dem Haupt des Leibes. Freiheit in den Formen gehört zum Kernbestand des reformatorischen Kirchenbildes:
(Confessio Augustana, Artikel 7: Von der Kirche)
Im Leitbild haben wir formuliert:
(Aus dem Leitbild der Paulusgemeinde)
Aktuelle Herausforderungen
Vielfalt bedeutet Leben, bringt aber auch neue Herausforderungen mit sich. Neue Angebote und Formate ziehen neue Menschen an, die sich in die Gemeinde einbringen. Sie tun das mit ihrer Sichtweise und Lebensweise – was innerhalb der Gemeinde für mehr Buntheit sorgt, aber auch zu Spannungen führen kann.
Hier sind wir wie die frühen Christen immer Lernende, die einander in Demut und Liebe achten sollen. Dabei kann es nie darum gehen, nur auf der Erfüllung der eigenen Interessen zu bestehen – es muss immer der Leib als Ganzes im Blick sein, dessen Ziel und Aufgabe es ist, Gott die Ehre zu geben. Dieses Lernen und Lieben wird allen Gliedern des Leibes gleichermaßen abverlangt und zugemutet. Wir werden dabei immer wieder an Grenzen stoßen, werden miteinander und voneinander lernen und immer wieder neue Wege entwickeln, wie wir das gemeinsame Leben und Dienen in der Gemeinde gestalten.
(Römer 15,7 / GNB)
Beobachtungen und Wünsche können bei Bedarf auch sonst jederzeit an den Kirchenvorstand eingereicht werden. Dabei sollte der Absender namentlich erkennbar und das Ziel Ihres Antrags klar und spezifisch unter Angabe von Gründen formuliert sein, damit sich der Kirchenvorstand dazu verhalten kann.
(Aus dem Leitbild der Paulusgemeinde)
Links zum Weiterlesen
Ausführliche Informationen zu den Sinus-Milieus (PDF)
Kurzinfos zu den Sinus-Milieus (PDF)
Sinus-Artikel: Was wollen die Schäfchen – Deutschland ist Missionsland geworden (PDF)
Kommunikation in einer digitalisierten Gesellschaft
Das Netzwerk ruach.jetzt bietet Methoden und Tools, um innovative kirchliche Kommunikation zu unterstützen.
Bundeszentrale für politische Bildung: Säkularisierung und die Rückkehr der Religion?
Lust auf Menschen – kirchliches Info-Portal zum Thema Milieus
Dem Evangelium in den Milieus Gestalt geben
Konsequenzen aus der Milieuperspektive für die Gestaltung des kirchlichen Taufhandelns
Gott in der Stadt – Perspektiven evangelischer Kirche in der Stadt, EKD-Texte 93, 2007
Selbstverständnis der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern
Buchtipp
Center Church – Kirche in der Stadt
von Timothy Keller
400 Seiten, gebunden
ISBN: 978-3-7655-0978-0
EAN: 9783765509780
3. Auflage 2018, Brunnen-Verlag
In Center Church entfaltet Timothy Keller seine theologische Vision für Gemeinde im 21. Jahrhundert: Wie kann Kirche in einer säkularen, nachchristlichen Gesellschaft aussehen, jenseits von Anpassung oder Abschottung, Liberalismus oder Gesetzlichkeit? Was bedeutet es, das Evangelium ins Zentrum zu stellen? Wie lassen sich Kontextualisierung, Gesellschaftstransformation und missionale Gemeinde biblisch bestimmen?
Timothy Keller, Jahrgang 1950, hat Praktische Theologie an verschiedenen Universitäten gelehrt. Seit 1989 leben Timothy und seine Frau in Manhattan, wo sie gemeinsam die Redeemer Presbyterian Church gegründet haben, die als eine der einflussreichsten 25 Gemeinden in den USA gilt.
In Center Church entwirft Keller ein großartiges Panorama von Gemeinde und zeigt auf, wie Gottesdienst, Gemeinschaft, soziale Arbeit und die Integration des Glaubens in säkulare Berufe zusammenwirken können. Gastbeiträge von Praktischen Theologen und Gemeindegründern kommentieren, wie Kellers Ansätze auch im deutschsprachigen Raum anwendbar sind.
Quelle: Brunnen-Verlag